Karl Kraus                              Es werde Licht

1874 – 1936

Bin so viel Jahre schon und Nacht für Nacht

In einem Unterstand gesessen.

Und habe dennoch nicht vergessen,

Daß Gott der Herr den Tag gemacht.

 

Ihr aber habt geschlafen unterdessen.

Ich aber habe nur gewacht,

Und hab darüber nachgedacht,

Daß ihr geschaffen wurdet, um zu essen.

 

Wir werden niemals mehr zusammenkommen,

Ich unten, ihr am sichern Herde.

Ich bin verdammt, und ihr, ihr seid die Frommen.

 

Und steig ich auf, und ihr seid auf der Erde,

So bleibt uns die Verständigung genommen.

Ihr lobet Gott; ich weiß, wie Licht es werde.

 

 

 

 

 

 

 

Karl Kraus                              Halbschlaf

1874 – 1936

Bevor ich war und wenn ich nicht mehr bin,

Wie war ich da, wie werde ich da sein?

Zuweilen dringen Duft und Rausch und Schein

Vom Ende her und von dem Anbeginn.

 

Hab ich geschlafen? Eben schlaf ich ein,

Und nun verwaltet mich ein andrer Sinn,

Noch bin ich außerhalb, schon bin ich drin,

Noch weiß ich es, und füge mich schon drein.

 

Dies Ding dort ruft, als hätt ich’s oft geschaut,

Und dies da blickt wie ein vertrauter Ton,

Und an den Wänden wird es bunt und laut.

 

Dort wartet lang mein ungeborner Sohn,

Hier stellt sich vor die vorbestimmte Braut,

Und was ich damals war, das bin ich schon.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Kraus                              Meinem Freund Janowitz

1874 – 1936                                        (getötet am 4. November 1917)

 

Ein Landsknecht du? vier Jahre deines Seins

Hast du dein frühlingshaftes Herz getragen

Durch Blut und Kot und alle Pein und Plagen

Und wurdest der Millionen Opfer eins?

 

Und durftest, was du mußtest, uns nicht sagen

Und fühltest Vogelsang des grünen Rains

Und lebtest stumm am Rande dieses Scheins

Und fromm genug, um ferner nicht zu fragen.

 

Und da dein reines Herz erstickt in Kot,

Das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren.

Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod.

 

Doch seine Tränen wird die Welt vermehren,

Färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot.

Bis dahin mag sie ihre Henker ehren!

 

 

 

 

 

 

Karl Kraus                              Suchen und Finden

1874 – 1936

Die Dinge sind schon an der Fläche tief,

Du mußt sie nur mit Ehrfurcht sagen.

Willst du dich aber weiter wagen,

So weist sich’s oft, daß dich kein Rätsel rief.

 

Beneide nicht, die allen Sinn benagen

Und den Gedanken, der da schlief,

Eh er durch ihre Tageszeiten lief,

Gefühllos weckten durch ihr lautes Fragen.

 

Sie das Gewohnte stets zum erste Mal.

Dann hat sich alles Suchen dir gelohnt,

Das Vorgefundne fügt sich deiner Wahl.

 

Bleibt nur, was ruht, von deinem Drang verschont,

So wird dir das Entlegene banal,

Und neu das Nahe und wie ungewohnt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Kraus                              Zuflucht

1874 – 1936

Hab ich dein Ohr nur, find ich schon mein Wort:

Wie sollte mir’s dann an Gedanken fehlen?

Von zwei einander zugewandten Seelen

Ist meine flüchtig, deine ist der Hort.

 

Ich komme aus dem Leben, jenem Ort,

Wo sie mit Leidenschaft das Leben qüälen

Und sich die Menschen zu der Menschheit zählen,

Und technisch meistern sie den Tag zum Tort.

 

So zwischen Schmach und Schönheit eingesetzt,

Rückwärts die Welt und vorwärts einen Garten

Ersehend, bleibt die Seele unverletzt.

 

Fern zeigt das Leben seine blutigen Scharten,

An mir hat es sich selber wundgehetzt.

Öffne dein Ohr, um meines Worts zu warten!

 

 

 

 

Karl Kraus

1874 – 1936

Du bist so sonderbar in eins gefügt

aus allem, was an allen mir behagte.

Du hast etwas von einer, die belügt,

und von der andern, die die Wahrheit sagte.

 

Du hast den Blick, der mir zum Glück genügt,

die Stimme, die es fühlte und nicht sagte;

begrenzt wie die, an die der Wunsch sich wagte,

unendlich an Erfüllung angeschmiegt.

 

Die Züge der Besiegten, die besiegt,

sind Spiegel aller Wonne, die mich plagte,

und allen Zwistes, der am Herzen nagte,

 

und daß ich mich vergnügte und verzagte,

und wie ich im Gewinn Verlust beklagte

von Federleichtem, das ein Leben wiegt.